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Das EPA prüft die Moral und Patentierbarkeit von Therapeutika, die aus traditionellem Wissen stammen
November 2024
Dieser Fall (T2510/181), der im Mai 2024 vor den Technischen Beschwerdekammern des EPA verhandelt wurde, betrifft die Sittlichkeit und Neuheit von Substanzen natürlichen Ursprungs.
Die Erfindung, die Gegenstand des Patents (EP 2 443 126 B1) ist, beruht auf der Extraktion von Simalikalacton E (SkE) aus den getrockneten Blättern der Pflanze Quassia amara und seiner Verwendung zur Vorbeugung und Behandlung von Malaria mit Hilfe eines spezifischen Verfahrens. Anspruch 1 des Patents beansprucht lediglich das Molekül gemäß einer definierten Formel.
In dem Patent wurde anerkannt, dass die Pflanze Quassia amara in der traditionellen Medizin gegen Fieber und Malaria im gesamten nordwestlichen Amazonasgebiet und bis nach Mittelamerika verwendet wurde.
Verstoß gegen die öffentliche Moral
In der Beschwerde nach Zurückweisung des Einspruchs brachten die Beschwerdeführer ein interessantes Argument vor, nämlich dass die gewerbliche Verwertung der Erfindung gegen die guten Sitten und die öffentliche Ordnung im Sinne von Artikel 53 (a) EPÜ verstoße. Dieser Artikel des europäischen Patentrechts schließt von der Patentierbarkeit jeden Gegenstand aus, der gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstößt. Der Beschwerdeführer machte insbesondere geltend, dass der Schutz der Erfindung nicht im Einklang mit der europäischen Kultur und den Normen für die Forschung mit indigenen Gemeinschaften und die Nutzung ihres traditionellen Wissens stehe. Die Art und Weise, in der der Patentanmelder mit der indigenen Gemeinschaft zusammengearbeitet habe, sei irreführend und stelle einen Vertrauensbruch dar. Im Wesentlichen behauptete der Beschwerdeführer, dass der Anmelder Biopiraterie betrieben habe, um die Erfindung von der indigenen Bevölkerung Guyanas zu erhalten, die seit vielen Jahren Quassia amara-Blätter für die Herstellung ihrer traditionellen Heilmittel verwendet habe.
Die Kammer wies diese Argumente mit der Begründung zurück, daß Artikel 53 (a) EPÜ den Schutz von Erfindungen verhindern soll, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde. Im vorliegenden Fall verstießen das gewerbliche Erzeugnis, nämlich das Molekül an sich, und seine Verwendung zur Behandlung von Malaria nicht gegen die guten Sitten, sondern seien sogar notwendig, um die Bevölkerung zu behandeln und Leben zu retten. Die Beschwerdeführerin hat nicht nachgewiesen, dass das Molekül oder seine Gewinnung aus der Quassia amara-Pflanze selbst gegen die guten Sitten verstößt.
Das EPA kann sich mit der Patentierbarkeit einer Erfindung befassen, verfügt aber noch nicht über die Mittel, um sich mit dem Konzept der Biopiraterie zu befassen. Das Nagoya-Protokoll ist neben anderen internationalen Verträgen die einschlägige Rechtsvorschrift, die auf eine gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergebenden Vorteile abzielt (insbesondere Artikel 52). Es ist nicht klar, ob weitere Maßnahmen gegen den Antragsteller wegen Verstoßes gegen dieses Protokoll ergriffen wurden. Aufgrund der Kontroverse um dieses Patent kündigte der Antragsteller jedoch an, dass er ein Protokoll mit den Behörden von Guayana ausarbeiten würde, um eine gerechte Aufteilung der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Vorteile zu gewährleisten, falls das Medikament auf den Markt kommt, und um sicherzustellen, dass die Menschen in Guayana es zu einem erschwinglichen Preis erhalten können3.
Neuartigkeit von Substanzen natürlichen Ursprungs
Zusätzlich zu dem Angriff auf die Moral argumentierte der Beschwerdeführer, dass die Ansprüche angesichts dreier Artikel, die Zubereitungen aus Blättern oder Stängeln der Pflanze Quassia amara zur Behandlung von Malaria beschrieben, nicht neu seien. Bei der Beurteilung der Neuheit wandte die Kammer den „Goldstandard“-Test an, der zuvor für die Beurteilung des zusätzlichen Gegenstands und der Priorität verwendet worden war. In diesem Sinne prüfte die Kammer, ob der Stand der Technik die beanspruchte SkE-Verbindung entweder explizit oder implizit „direkt und eindeutig“ offenbart. Es war klar, dass SkE im Stand der Technik nicht explizit offenbart war, aber war die Verbindung implizit offenbart worden? Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Merkmal stillschweigend offenbart, wenn der Fachmann sofort erkennt, daß nichts anderes als das implizite Merkmal offenbart ist. Die Kammer kam zu dem Schluß, daß die Tatsache, daß SkE in den offengelegten Auszügen zu finden ist, noch keine direkte und eindeutige implizite Offenbarung darstellt. Interessanterweise argumentierte sie, dass die Identifizierung von SkE einen erheblichen Aufwand und damit eine erfinderische Tätigkeit erfordere und daher nicht implizit offenbart worden sein könne.
Die Beschwerdeführer hatten auch argumentiert, dass der beanspruchte Gegenstand nicht neu sein könne, wenn er durch die bestehende Verwendung verletzt werde, was gemeinhin als „Squeeze“-Argument bezeichnet wird. Bei der Zurückweisung dieses Arguments verwies die Kammer auf das Urteil G2/88, in dem die Große Beschwerdekammer darauf hinwies, daß für die Prüfung der Neuheit ausschlaggebend ist, was der Öffentlichkeit „zugänglich gemacht“ wurde, und nicht, was im Stand der Technik „immanent enthalten“ ist.
Diese Rechtssache weist Ähnlichkeiten mit einer Reihe von Rechtssachen auf, darunter T416/01, in der die fehlende Neuheit auf der Grundlage des traditionellen Vorwissens geltend gemacht wurde. Obwohl die moralischen Bedenken der indigenen Bevölkerung von Französisch-Guayana nachvollziehbar sind, stehen die Schlussfolgerungen der Kammer in diesem Fall im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung.
Referenzen:
- https://www.epo.org/fr/boards-of-appeal/decisions/t182510fu1
- https://www.cbd.int/abs/text/articles?sec=abs-05#:~:text=in%20the%20Annex.-,5.,local%20communities%20holding%20such%20knowledge
- https://www.science.org/content/article/french-institute-agrees-share-patent-benefits-after-biopiracy-accusations