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T 0295/22: Technische Beschwerdekammer des EPA stützt sich auf die Rechtsprechung zum „Bonus-Effekt“, um zu entscheiden, dass Amgens Patent für oral verabreichtes Apremilast nicht erfinderisch ist

Februar 2025

In diesem Fall ging es um das europäische Patent Nr. 2962690 von Amgen für Apremilast, ein Medikament, das unter dem Markennamen Otezla® vertrieben wird und für die Behandlung von z. B. Psoriasis und Psoriasis-Arthritis zugelassen ist.

Das Patent wurde von 15 Gegnern angefochten. Anspruch 1 des Hauptantrags von Amgen war ein sogenannter „erster medizinischer Verwendungsanspruch“, der sich auf stereomerenreines Apremilast mit einem Anteil von mehr als 80 % des (+)-Enantiomers und weniger als 20 % des (-)-Enantiomers zur Verwendung als oral verabreichtes Medikament bezog. Im Gegensatz zu den Vorgaben der Prüfungsrichtlinien des EPA in Teil G, VI, 6.1.2 betrachtete die Kammer die orale Verabreichung des Arzneimittels als einschränkendes Merkmal des Anspruchs [1]. Der Ausschuss revidierte auch seine vorläufige Meinung zur erfinderischen Tätigkeit und kam zu dem Schluss, dass der von Amgen nachgewiesene technische Effekt lediglich ein „Bonuseffekt“ sei, der keine naheliegende Lehre erfinderisch machen könne.

Ansprüche auf medizinische Verwendung

Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) schließt Behandlungsverfahren von der Patentierbarkeit aus (Artikel 53(c) EPÜ). Substanzen oder Zusammensetzungen zur Verwendung in Behandlungsverfahren durch Therapie können jedoch als medizinische Verwendungen geschützt werden (Artikel 54(4) und (5) EPÜ). Die erste medizinische Verwendung einer Substanz oder Zusammensetzung ist in der Regel in der Form „Zusammensetzung X zur Verwendung als Medikament“ geschützt, während nachfolgende medizinische Verwendungen als sogenannte zweite medizinische Verwendungsansprüche in der Form „Zusammensetzung X zur Verwendung als Medikament zur Behandlung der Krankheit Y“ geschützt sind. Sowohl die ersten als auch die zweiten medizinischen Verwendungsansprüche sind zweckgebundene Produktansprüche, wobei die zweiten medizinischen Verwendungsansprüche auf eine bestimmte medizinische Verwendung abzielen und nicht auf eine allgemeine medizinische Verwendung, wie sie im ersten medizinischen Verwendungsformat beansprucht wird. Wie nachstehend erläutert, wurde die Spezifität der Verwendung, die erforderlich ist, um den Schutz als Anspruch auf eine zweite medizinische Verwendung zu rechtfertigen, durch die Rechtsprechung als relativ niedrige Hürde festgelegt, und eine neue Verwendung könnte als „spezifisch“ angesehen werden, solange sie sich von der generischen Verwendung als Medikament unterscheidet, die als erste medizinische Verwendung offenbart wurde.

Art der Verabreichung und EPO-Richtlinien für die Prüfung

Wie oben erwähnt, handelte es sich bei Anspruch 1 in T 0295/22 um einen „Anspruch auf erste medizinische Verwendung“, der stereomerenreines Apremilast zur Verwendung als oral verabreichtes Medikament abdeckte. Bei der Entscheidung über die Patentierbarkeit musste die Kammer prüfen, ob die Art der Verabreichung, d. h. die orale Verabreichung, den Umfang des Anspruchs einschränkte.

Die Prüfungsrichtlinien des EPA sahen keine Einschränkung der Ansprüche auf erste medizinische Verwendung durch Verabreichungsarten vor. Gemäß Teil G, VI, 6.1.2 könnte ein Verabreichungsweg nur in Bezug auf eine nachfolgende (spezifische) medizinische Indikation ein einschränkendes Merkmal sein. Im Zusammenhang mit einer ersten medizinischen Verwendung, bei der die medizinische Indikation nicht spezifiziert war, konnte die Art der Verabreichung jedoch nicht mit einer therapeutischen Wirkung in Zusammenhang stehen.

Die Kammer in T 0295/22 befand, dass die Richtlinien nicht mit der Rechtsprechung übereinstimmen. Insbesondere war die Kammer nicht der Ansicht, dass die Verabreichungsarten im Zusammenhang mit Ansprüchen auf erste und zweite medizinische Verwendung unterschiedlich ausgelegt werden sollten. Die Kammer stellte fest, dass in T 51/93[2] entschieden wurde, dass Neuheit anerkannt werden kann, solange eines der Behandlungsmerkmale (z. B. die Art der Verabreichung) neu ist. Dies wurde später in G2/08[3] bestätigt, in dem es hieß, dass Zweitindikationen zwar eine spezifische Verwendung definieren müssten, die Spezifität jedoch lediglich im Gegensatz zu dem allgemeinen, breiten Schutz stehen müsse, der durch die Erstindikation gewährt werde, und nicht auf eine bestimmte medizinische Indikation beschränkt sein müsse. In G2/08 wurden daher Dosierungsschemata als zulässig erachtet, obwohl diese nicht mit einer neuen therapeutischen Verwendung in Zusammenhang standen. Vor diesem Hintergrund war der Ausschuss der Ansicht, dass die Richtlinien nicht mit T 51/93 und G 2/08 übereinstimmten, und befand, dass die orale Verabreichungsform von Apremilast ein einschränkendes Merkmal sei, das den Anspruch neu mache.

Fehlende erfinderische Tätigkeit trotz unerwarteter technischer Wirkung

Da die Neuheit durch die orale Verabreichungsform nachgewiesen wurde, prüfte die Kammer, ob der technische Unterschied eine technische Wirkung hatte. Die Einsprechenden argumentierten, dass das Problem in Form der Bereitstellung eines alternativen oder geeigneten Verabreichungswegs formuliert werden sollte. Die Kammer stellte jedoch fest, dass das Patent den Nachweis einer unerwartet hohen Selektivität, einer geringeren Neigung zum Erbrechen und einer verbesserten Löslichkeit im Zusammenhang mit oral verabreichtem stereomerenreinem Apremilast erbrachte. Dementsprechend war die Kammer davon überzeugt, dass es genügend Beweise für einen technischen Effekt gab, sodass das objektive technische Problem als Bereitstellung eines Verabreichungsweges formuliert werden sollte, der eine sichere und gut verträgliche wirksame Behandlung von PDE4-vermittelten Krankheiten ermöglicht.

Im Allgemeinen wird ein zuvor unbekannter oder unvorhersehbarer technischer Effekt vom EPA oft als starker Indikator für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit angesehen. Obwohl die Kammer in diesem Fall anerkannte, dass ein Fachmann die im Patent nachgewiesenen technischen Effekte möglicherweise nicht vorhergesehen hat, war die Kammer der Ansicht, dass es für einen Fachmann bereits offensichtlich gewesen wäre, zu dem beanspruchten Gegenstand zu gelangen, da aus den Dokumenten des Standes der Technik ein vorteilhafter Effekt zu erwarten war. Unabhängig von den Umständen der zusätzlichen (oder „Bonus-“) technischen Effekte fehlte es dem Anspruch daher an einer erfinderischen Tätigkeit.

Im vorliegenden Fall war die Kammer trotz bekannter Herausforderungen bei der oralen Verabreichung von PDE4-Inhibitoren der Ansicht, dass ein Fachmann dennoch einen überzeugenden Grund gehabt hätte, die orale Verabreichung von PDE4-Inhibitoren anzustreben, da die orale Verabreichung aufgrund der einfachen Anwendung die erste Wahl eines Fachmanns für die systemische Verabreichung von Wirkstoffen war.

Darüber hinaus war die Entwicklung oral verabreichter PDE4-Inhibitoren zum Prioritätsdatum des Patents noch nicht abgeschlossen und vielversprechend, und andere PDE4-Inhibitoren zeigten positive (wenn auch unterlegene) Ergebnisse. Der Vorstand stellte außerdem fest, dass keine technischen Vorurteile gegen die orale Verabreichung nachgewiesen wurden. Im Gegenteil, es wurde auch gezeigt, dass die orale Verabreichung einer ähnlichen Verbindung eine geringere Neigung zum Erbrechen aufweist. Insgesamt kam die Kammer daher zu dem Schluss, dass der Stand der Technik beim Fachmann die begründete Erwartung weckte, dass die orale Verabreichung von stereomerenreinem Apremilast eine sichere und gut verträgliche wirksame Behandlung von PDE4-vermittelten Erkrankungen ermöglichen würde. Obwohl das unerwartete Ausmaß der im Patent nachgewiesenen Vorteile möglicherweise nicht vorhersehbar war, war die Kammer der Ansicht, dass es im Stand der Technik genügend Gründe gab, die einen Fachmann dazu motivieren würden, Apremilast ohnehin oral zu verabreichen. Daher wurden die nachgewiesenen signifikanten und unerwarteten Verbesserungen als Zusatzeffekte betrachtet, die keine erfinderische Tätigkeit darstellen.

Schlussfolgerungen

Es wird interessant sein zu sehen, ob die Richtlinien geändert werden, um die Schlussfolgerung des Boards widerzuspiegeln, dass Schritte wie Verabreichungsarten herangezogen werden können, um erste medizinische Anwendungen einzuschränken, obwohl sie sich nicht auf neue therapeutische Anwendungen beziehen.

Es wird auch interessant sein zu sehen, ob die Rechtsprechung zum „Bonus-Effekt“ nach dieser Entscheidung verstärkt angewendet wird. Im Dezember letzten Jahres haben wir spekuliert, dass die Rechtsprechung zum „Bonus-Effekt“ zunehmend herangezogen werden könnte, um die Schlussfolgerungen zur erfinderischen Tätigkeit enger an die des UPC[4] anzugleichen. Nach dem, was wir bisher gesehen haben, scheint der Rahmen des UPC für erfinderische Tätigkeit ganzheitlicher zu sein und konzentriert sich darauf, ob ein Fachmann motiviert gewesen wäre, die beanspruchte Lösung in Betracht zu ziehen und sie als nächsten Schritt bei der Entwicklung des Standes der Technik umzusetzen[5]. Obwohl die Kammer in T 0295/22 das UPC nicht als Grund für ihre Entscheidung anführte, reiht sich dieser Fall in eine wachsende Zahl jüngerer Gerichtsurteile ein, in denen ein technischer Vorteil als unzureichend erachtet wurde, um eine erfinderische Tätigkeit zu begründen. Allerdings hängt die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Einsprechender erfolgreich auf einen „Bonuseffekt“ berufen kann, wahrscheinlich von den Fakten ab, da wir auch gesehen haben, dass dieselbe Kammer in einer anderen Zusammensetzung eine „schluckbare“ Tablette von Deferasirox als erfinderisch gegenüber einer dispergierbaren Form des Arzneimittels angesehen hat [6] (T 0526/21). Im letzteren Fall erkannte der Board zwar an, dass die Bereitstellung einer schluckbaren Tablette zur Verbesserung der Verabreichung an sich offensichtlich war, war jedoch der Ansicht, dass ein Fachmann bei der Formulierung von Deferasirox als schluckbare Filmtablette keine begründete Erwartung auf Erfolg hinsichtlich einer guten Bioverfügbarkeit gehabt hätte. In T 0526/21 wurde daher die Bioverfügbarkeit der schluckbaren Tablette als unerwartet und als Hinweis auf eine erfinderische Tätigkeit angesehen. Daher sollten wir trotz des erfolgreichen Rückgriffs der Einsprechenden auf den Bonuseffekt in T 0295/22 die Bedeutung von Daten für den Nachweis eines unerwarteten technischen Effekts zur Stützung eines erfinderischen Schritts nicht herunterspielen.

 

[1] Siehe Beispiel 2

[2] Gründe, 3.1.2

[3] Gründe, 5.10.3

[4] https://www.hgf. com/news/with-the-epo-and-upc-adopting-different-frameworks-for-inventive-step-is-there-potential-for-conflicting-decisions/

[5] UPC_CoA_335/2023

[6] Gründe, 3.5.2 und 3.5.3


Dieser Artikel wurde von Partnerin und Patent Attorney Hsu Min Chung verfasst.

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