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IP-Zutaten: Sommer-Rechtsprechungsübersicht
Juli 2024
Während der Sommer seinen Höhepunkt erreicht und wir nach dem Eis greifen, ist es an der Zeit, die Rechtsstreitigkeiten im Lebensmittel- und Getränkesektor aufzuarbeiten, die in der ersten Jahreshälfte entschieden wurden.
Im Folgenden werden einige der wichtigsten Entscheidungen erörtert und Überlegungen angestellt, was sowohl die Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums als auch die Herausforderer daraus für die Zukunft lernen können.
Marken & Geschmacksmuster
[2024] EWCA Civ 262, Lidl Great Britain Limited und andere gegen Tesco Stores Limited und andere, Berufungsgericht, 19. März 2024
Viele werden sich an die Entscheidung des High Court vom letzten Jahr erinnern, die aufgrund der Bekanntheit der beiden Parteien in den Medien große Beachtung fand. In dieser Entscheidung entschied der High Court, dass die Verwendung eines Zeichens mit einem gelben Kreis auf blauem Hintergrund durch Tesco zur Werbung für das Angebot „Clubcard-Preise“ die Marken und das Urheberrecht von Lidl verletzt hatte und auch gegen das Gesetz über den unerlaubten Wettbewerb verstieß. Ein bedeutender Sieg für Lidl, aber mit einem kleinen Wermutstropfen, denn der Richter kam auch zu dem Schluss, dass Lidl sein Logo, das aus einem gelben Kreis mit rotem Rand auf blauem Hintergrund besteht, bösgläubig erneut eingetragen hatte, da es keine Absicht nachweisen konnte, es ohne den Markennamen LIDL zu verwenden, und die Eintragung folglich gelöscht wurde.
Beide Parteien legten gegen die Entscheidung Berufung beim Berufungsgericht ein, wobei Tesco beantragte, die Feststellungen der Rechtsverletzung und der unerlaubten Vervielfältigung aufzuheben, während Lidl argumentierte, die Feststellungen der Bösgläubigkeit gegen sie sollten zurückgewiesen und ihre Markeneintragungen aufrechterhalten werden.
In seiner Entscheidung kam das Berufungsgericht zu folgendem Schluss:
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Die Berufung von Tesco gegen die Feststellung des Vorliegens einer Kennzeichenverletzung muss zurückgewiesen werden. Das Berufungsgericht war zwar der Ansicht, dass die Feststellung des High Court, wonach eine erhebliche Zahl von Verbrauchern zu der Annahme verleitet würde, dass die Clubcard-Preise von Tesco gleich oder niedriger seien als die Preise von Lidl für gleichwertige Waren, etwas überraschend war und dass die Argumentation kleine Mängel aufwies, da einigen Beweisen mehr Gewicht beigemessen wurde, als angemessen gewesen wäre, kam aber zu dem Schluss, dass der Richter nicht nur berechtigt war, diese Entscheidung zu treffen, sondern dass die übrige Argumentation dadurch nicht in Frage gestellt wurde.
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Die Berufung von Tesco gegen die Feststellung einer Markenverletzung wegen Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft der eingetragenen Marke von Lidl, die das Wort „LIDL“ enthält, wird zurückgewiesen. Das Berufungsgericht schloss sich der Entscheidung des High Court an, wonach die Behauptung von Lidl, die Preise seien aneinander angeglichen worden, durch die Beweise gerechtfertigt sei und die Entscheidung des Richters, eine Beeinträchtigung von Lidl festzustellen, daher vernünftig zu begründen sei. Darüber hinaus lag kein Rechts- oder Grundsatzfehler in der Argumentation des High Court vor, dass die Verwendung durch Tesco nicht gerechtfertigt war. Tesco hätte ohne weiteres ein anderes Zeichen verwenden können, um für ihre Clubcard-Preise zu werben.
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Die Berufung von Lidl gegen die Feststellung des High Court, dass ihre Markeneintragungen bösgläubig angemeldet wurden, wurde zurückgewiesen. Das Berufungsgericht stellte fest, dass die Entscheidung des High Court, die Beweislast auf Lidl zu verlagern, nicht fehlerhaft war, nachdem Tesco einen prima facie Fall von Bösgläubigkeit nachgewiesen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war es an Lidl, seine Absichten bei der Antragstellung zu erläutern. Da Lidl keine überzeugenden Beweise oder Zeugenaussagen vorlegen konnte, aus denen seine Absicht hervorging, das Logo ohne die Wortmarke „LIDL“ zu verwenden, stellte der High Court zu Recht fest, dass die Anmeldungen bösgläubig vorgenommen worden waren.
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Tescos Berufung gegen die Feststellung einer Urheberrechtsverletzung wurde zugelassen. Das Berufungsgericht wurde von Tesco mit einem Argument konfrontiert, das zuvor vor dem High Court nicht vorgebracht worden war. Tesco erläuterte, dass es sich aus der Art und Weise ergeben habe, wie Lidl versucht habe, die Entscheidung des High Court zur Originalität zu stützen, als es die Berufung verteidigte. Die neue Behauptung lautete, dass Tesco, selbst wenn das Lidl-Logo als originäres Werk angesehen würde, keine Rechtsverletzung begangen habe, da sie keinen wesentlichen Teil des Logos nachgeahmt hätten, da sie nicht kopiert hätten, was daran originell sei. Der Richter des Berufungsgerichts stimmte dem zu. Sie vertraten die Auffassung, dass das Werk zwar hinreichend originell sei, um urheberrechtlichen Schutz zu genießen, der Umfang dieses Schutzes jedoch eng sei. Da Tesco mindestens zwei der Elemente, die das Werk originell machten, nicht kopiert hatte, nämlich einen Blauton, den Tesco zuvor als Teil seiner Firmenfarbe verwendet hatte, anstatt das Lidl-Blau zu kopieren, und der Abstand zwischen dem Kreis und dem Quadrat anders war, verletzten sie das Urheberrecht von Lidl nicht.
Die wichtigsten Erkenntnisse: Trotz des Erfolgs bei der Aufhebung der Entscheidung über die Urheberrechtsverletzung ändert diese Entscheidung nichts an den Auswirkungen für Tesco. Aus praktischer Sicht muss das Unternehmen immer noch die erheblichen Ausgaben für die Änderung seiner Beschilderung tätigen und darüber hinaus möglicherweise seinem Konkurrenten erheblichen Schadenersatz zahlen. Das Urteil ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Marketingteams alle Kampagnen, insbesondere bedeutende, von ihren Rechtsteams absegnen lassen sollten, vor allem, wenn es irgendeinen Hinweis gibt, egal wie gering, dass die Kampagne Ähnlichkeit mit der eines Wettbewerbers haben könnte.
Weitere Informationen zur ursprünglichen Entscheidung des High Court finden Sie unter: https://www.hgf.com/de/neuigkeiten/jeder-lidl-hilft-lidl-gewinnt-vor-dem-obersten-gerichtshof-gegen-tesco-wegen-des-clubcard-preise-logos/
[2024] EWHC 88 (IPEC), Thatchers Cider Company Limited gegen Aldi Stores Limited, IPEC, 24. Januar 2024
Ein weiterer Fall, der aufgrund der beteiligten bekannten Namen in den Medien präsent war. In diesem Fall klagte Thatchers gegen Aldi und deren TAURUS-Marke für trüben Zitronencidre wegen Verletzung der Thatchers-Marke, die ein Bild des THATCHERS CLOUDY LEMON CIDER-Etiketts enthält, und begründete dies mit Verwechslungsgefahr, Rufschädigung und unerlaubter Vervielfältigung.
Thatchers argumentierte, dass Aldi durch die Verwendung ähnlicher Verpackungen und Marketingmaßnahmen absichtlich eine Verbindung zwischen ihren Produkten und dem gut eingeführten Produkt von Thatcher hergestellt habe. Aldi konterte mit der Behauptung, dass die Verwendung des „Benchmark“-Produkts (d. h. des Thatchers-Produkts) rechtmäßig sei und dass es den Behauptungen von Thatchers an ausreichender Spezifizität fehle.
Bevor der Richter die Klage von Thatchers beurteilen konnte, musste er sich zunächst mit der Vorfrage befassen, welches Zeichen Thatchers zu beanstanden beabsichtigte. Diese Frage war Gegenstand einer Case Management Conference und nahm einen großen Teil der Schriftsätze des ersten Tages ein. Schließlich stellte der Richter fest, dass es sich bei dem Zeichen um das Gesamterscheinungsbild einer einzigen Dose des Aldi-Produkts TAURUS und nicht nur um eine Seite davon handeln müsse.
Nach dieser Entscheidung kam der Richter zu folgendem Schluss:
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Es bestehe keine Verwechslungsgefahr. Die Tatsache, dass das Produkt von Aldi an das Produkt von Thatchers erinnern könne, reiche nicht aus, um eine Verwechslung festzustellen. Insgesamt wurde eine Ähnlichkeit der Marken festgestellt, allerdings nur in geringem Maße. Dies liegt vor allem an den Unterschieden in den markanten Markennamen „THATCHERS“ und „TAURUS“, aber auch an dem von Aldi verwendeten Stierlogo. Der Richter war auch der Ansicht, dass die Farbe Gelb und die Verwendung von Zitronen und Zitronenblättern für ein Getränk mit Zitronengeschmack, einschließlich Zitronencidre, sehr häufig vorkommen und daher nicht besonders unterscheidungskräftig sind.
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Thatchers hatte zwar nachgewiesen, dass ihre Marke bis zum maßgeblichen Zeitpunkt einen Ruf erlangt hatte, und der Richter stellte fest, dass der maßgebliche Verbraucher beim Anblick des Produkts von Aldi an die Marke von Thatchers denken würde, doch war der Richter nicht davon überzeugt, dass die Absicht bestand, den Goodwill und den Ruf der Marke von Thatchers auszunutzen oder dass das Produkt von Aldi objektiv eine solche Wirkung hatte. Außerdem stimmten sie nicht zu, dass Thatchers ein Schaden entstanden sei, und befanden dementsprechend, dass die Klage wegen Verletzung des Rufes erfolglos sei.
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Da es keinen Beweis dafür gab, dass irgendein Verbraucher glaubte, das Aldi-Produkt sei das von Thatchers, und aus denselben Gründen, die bei der Feststellung, dass keine Verwechslungsgefahr bestand, angeführt wurden, wies der Richter die Klage wegen Kennzeichenverletzung ab.
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Die wichtigsten Erkenntnisse: Bei der Geltendmachung einer Verletzungsklage ist darauf zu achten, dass das Zeichen, gegen das sich die Klage richtet, klar und deutlich beschrieben wird. Andernfalls kann Ihnen, wie in diesem Fall, die Entscheidung teilweise aus der Hand genommen werden und von einem Richter unter Mitwirkung der Partei getroffen werden, gegen die Sie die Klage erheben.
[2024] EWCA Civ 178, Marks and Spencer plc gegen Aldi Stores Limited, Court of Appeal, 27. Februar 2024
Wenn die Entscheidung in der Rechtssache zwischen Aldi und Thatchers Aldi die Zuversicht gegeben hat, dass sie auf der richtigen Seite der Linie agieren, wird ihnen dieser nächste Fall schnell etwas zu denken geben. Diesmal ging es jedoch nicht um Marken, sondern um eingetragene Geschmacksmuster.
M&S hatte vier Geschmacksmuster für ihre Gin-Likörflaschen mit Goldflocken und LED-Lichtern eintragen lassen. Diese Geschmacksmuster sollten die im Jahr 2020 eingeführten festlichen Flaschendesigns schützen, die mit innovativen Merkmalen Weihnachtseinkäufer anlocken sollten. Aldi begann im November 2021 mit dem Verkauf konkurrierender Gin-Likörflaschen, was M&S dazu veranlasste, eine Klage wegen Rechtsverletzung einzureichen.
In der ursprünglichen Entscheidung stellte der High Court fest, dass die Flaschen von Aldi die eingetragenen Geschmacksmuster von M&S verletzen, da sie beim informierten Verbraucher denselben Gesamteindruck erwecken. Gegen diese Entscheidung legte Aldi Berufung beim Court of Appeal ein. Letztlich scheiterte die Berufung und die ursprüngliche Entscheidung über die Verletzung durch Aldi wurde aufrechterhalten.
Aus neutraler Sicht bietet die Entscheidung einige potenziell nützliche Hinweise, wenn man den Schutz eines eingetragenen Geschmacksmusters in Betracht zieht oder ein Verletzungsverfahren gegen einen Dritten anstrengt:
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Die Umstände des Verhaltens des Inhabers des Geschmacksmusters und damit die Absicht des Entwerfers sind nicht relevant. Das Geschmacksmuster muss objektiv ausgelegt werden.
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Wenn, wie im vorliegenden Fall, die für das eingetragene Geschmacksmuster verwendeten Abbildungen Fotografien eines Erzeugnisses sind, besteht das beanspruchte Geschmacksmuster aus den auf den Fotografien sichtbaren Merkmalen des Erzeugnisses – den Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, der Textur und den Werkstoffen und/oder Verzierungen.
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Jede Eintragung muss separat betrachtet werden. Eine Eintragung darf nicht durch Bezugnahme auf eine andere ausgelegt werden, und sie dürfen auch nicht miteinander verschmolzen werden. Andererseits können zwei Bilder, die Teil derselben Eintragung sind, zusammen betrachtet werden, da sie dasselbe Geschmacksmuster zeigen, jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven.
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Das Gericht kann bei der Beurteilung des Gesamteindrucks die tatsächlich vermarkteten Waren berücksichtigen, die diesen Mustern entsprechen. Insbesondere dann, wenn sie dazu dienen, die bereits aus den Mustern gezogenen Schlussfolgerungen zu bestätigen. Es sei denn, das vom Inhaber vermarktete Erzeugnis weicht von dem eingetragenen Geschmacksmuster ab.
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Zumindest in einem Fall wie dem vorliegenden kann die „Angabe des Erzeugnisses“ herangezogen werden, um eine Unklarheit darüber zu beseitigen, was in der Abbildung dargestellt ist, und in diesem Sinne bei der Auslegung des Geschmacksmusters helfen.
In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass das UKIPO auf Anfrage des Gerichts erklären musste, dass es am oder um den 21. April 2023 sein Online-Tool zur Anzeige von eingetragenen Geschmacksmustern aktualisiert hatte, weil es festgestellt hatte, dass die von den Anmeldern gemachten Angaben zur „Angabe des Erzeugnisses“ fälschlicherweise als „Beschreibung“ bezeichnet wurden.
- Es wurde erneut bestätigt, dass die Offenbarung durch den Entwerfer innerhalb der 12-monatigen Neuheitsschonfrist keine Auswirkungen auf den Geschmacksmusterkorpus hat, auch nicht für die Zwecke einer Verletzung.
Key take-away:Eingetragene Geschmacksmuster können hilfreich sein, um gegen ähnlich aussehende Produkte vorzugehen. Es ist interessant, darüber zu spekulieren, ob Thatchers in ihrem Fall gegen Aldi erfolgreicher gewesen wäre, wenn sie für die Etiketten ihres Cloudy Lemon Cider Geschmacksmusterschutz erlangt hätten, wie es M&S für ihre Flaschen getan hat. Diese Entscheidung zeigt auch, wie wertvoll die Verwendung von Fotografien bei der Anmeldung von eingetragenen Geschmacksmustern im Vergleich zu den eher typischen Strichzeichnungen ist. Eine Strichzeichnung hätte beispielsweise die „leuchtenden“ Merkmale der M&S-Flasche nicht in gleicher Weise zeigen können.
Weitere Informationen zu der ursprünglichen Entscheidung des High Court finden Sie unter: https://www.hgf.com/de/retail-scanner/design-anmeldungen-zu-gewinnen-diesmal-ist-es-gin-ms-gegen-aldi/
Patente
T0804/22: Ein besonderer Fallstrick für Parameter
In diesem Fall bestätigte die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts eine Entscheidung über den Widerruf des europäischen Patents EP3097790 (Symrise AG) für trübe Getränke mit verbesserter Lagerstabilität mit der Begründung, dass das Patent keine ausreichenden Informationen für einen Fachmann zur Ausführung der Erfindung enthält. Das Patent beanspruchte eine trübe Öl-in-Wasser-Emulsion und definierte die Öltröpfchen in Form einer durchschnittlichen Teilchengröße „x(n)“ definiert, wobei der Begriff „x(n)“ als die durchschnittliche Teilchengröße definiert wurde, die n Gewichtsprozent aller Tröpfchen in der Emulsion aufweisen.
Obwohl das Patent die Charakterisierung der Partikelgröße mittels Laserbeugung beschrieb, argumentierten die Einsprechenden, dass dies nur die Definition der durchschnittlichen Partikelgrößen durch Volumenprozente ermögliche. Der Patentinhaber bestritt, dass die volumenbasierten Daten durch einfache Berechnungen in Gewichtsprozente umgerechnet werden könnten. Keines der Beispiele im Patent sah jedoch eine Umrechnung von volumenbasierten in gewichtsbasierte durchschnittliche Partikelgrößen vor. Außerdem zeigten die Beweise, dass Tröpfchen unterschiedlicher Größe im Zusammenhang mit einer Emulsion aufgrund des Beitrags der Emulgierschicht unterschiedliche Dichten haben. Da eine Reihe von Teilchengrößen mit nicht konstanter Dichte vorhanden ist, kann die Umrechnung von Volumen in Gewicht nicht ohne große Schwierigkeiten berechnet werden.
Dementsprechend wurde festgestellt, dass „ernsthafte, durch nachprüfbare Tatsachen belegte Zweifel“ (das Kriterium der Unzulänglichkeit) an der Durchführbarkeit der Erfindung bestehen. Damit wurde die Beweislast von den Einsprechenden auf den Patentinhaber verlagert, so dass die Einsprechenden ihre Argumente vorbringen konnten, ohne experimentelle Daten vorzulegen.
Die wichtigsten Erkenntnisse: Es ist von entscheidender Bedeutung sicherzustellen, dass jeder Parameter, auf den in den Ansprüchen Bezug genommen wird, tatsächlich mit Hilfe von Methoden bestimmt werden kann, die im Patent beschrieben sind oder auf die Bezug genommen wird, oder die im allgemeinen Wissen bekannt sind. Im Idealfall enthält ein Patent ein oder mehrere Beispiele, die zeigen, wie ein Fachmann alle Anforderungen von Anspruch 1 erfüllt. Damit liegt die Beweislast zunächst beim Einsprechenden, der nachweisen muss, dass die Beispiele nicht reproduzierbar sind.
T0629/22: Erfindungshöhe von veganen Käseanaloga
In diesem Fall befasste sich die Beschwerdekammer des EPA mit der Erfindungshöhe von Anspruch 1 der EP3422865, in dem ein Analogkäse definiert wird, der Wasser, eine bestimmte Menge und Art von Stärke, eine bestimmte Menge von Kartoffeleiweiß und Fett enthält. Das beanspruchte Analogon unterscheide sich vom nächstliegenden Stand der Technik durch die Art und den Gehalt der Stärke. Nach Angaben des Patentinhabers führten diese Merkmale zu guten Schmelzdehnungseigenschaften. Die Kammer befand jedoch, daß es nicht glaubhaft sei, daß ein Erzeugnis nach Anspruch 1 diese Eigenschaften aufweisen würde, da bestimmte Verarbeitungsschritte erforderlich seien, um sie zu erreichen. Da sich der Patentinhaber nicht auf die technische Wirkung der Schmelzdehnungseigenschaften berufen konnte, definierte die Kammer das durch die Erfindung gelöste Problem als bloße Bereitstellung eines alternativen Analogkäses. Die Lösung, d.h. die Bereitstellung einer bestimmten Menge und Art von Stärke, wurde im Hinblick auf den Stand der Technik als naheliegend angesehen.
Erfreulicherweise hatte der Patentinhaber einen Hilfsanspruchssatz eingereicht, in dem Anspruch 1 ein nach einem bestimmten Verfahren hergestelltes Erzeugnis definierte, wodurch das Problem der fehlenden Verfahrensschritte überwunden wurde. Der Beschwerdeführer (Einsprechende) legte jedoch Versuchsberichte vor, aus denen hervorging, daß in einem Beispiel ein gemäß Anspruch 1 hergestelltes Analogkäseerzeugnis nicht die erforderlichen Eigenschaften aufwies, und argumentierte daher, daß der angebliche Vorteil der Erfindung nicht im beanspruchten Umfang erzielt werden könne.
Die Kammer stellte fest, daß die in diesem Beispiel verwendeten Mengen an Stärke, Kartoffeleiweiß und Fett am Rande der beanspruchten Bereiche lagen, während die vom Patentinhaber vorgelegten Daten zeigten, daß die Mengen der beanspruchten Bestandteile über den Anspruchsbereich hinweg erheblich variiert werden können und dennoch die Schmelzdehnungseigenschaften erreicht werden. Die Kammer verwies auch auf die Entscheidung der erweiterten Beschwerdekammer in der Sache G1/03, in der es hieß, dass „die Einbeziehung nicht funktionierender Ausführungsformen unschädlich ist“, sofern es „eine große Anzahl denkbarer Alternativen gibt und die Beschreibung ausreichende Informationen über die relevanten Kriterien enthält, um mit vertretbarem Aufwand geeignete Alternativen innerhalb des beanspruchten Bereichs zu finden“.
In Anbetracht dessen und in Anbetracht der im Patent enthaltenen Informationen hielt es die Kammer für glaubhaft, daß ein Fachmann, der die Lehre des Patents befolgt, ein Analogkäseerzeugnis mit den erforderlichen Dehnungseigenschaften erhalten würde. Die beanspruchte Lösung des Problems der Bereitstellung eines Analogkäses mit solchen Eigenschaften wurde dann angesichts des Standes der Technik als nicht naheliegend angesehen.
Key take-away: Dieser Fall veranschaulicht, wie die Glaubwürdigkeit angeblicher technischer Wirkungen innerhalb des Anspruchsbereichs darüber entscheiden kann, ob eine erfinderische Tätigkeit nach dem Problemlösungsansatz des EPA vorliegt. Auch wenn das Vorhandensein einer einzigen nicht funktionierenden Ausführungsform nicht zwangsläufig zur Patentierbarkeit führt, wird den Patentanmeldern empfohlen, zum Zeitpunkt der Einreichung ihrer Anmeldung eine Reihe von Beispielen aufzunehmen, die den Anspruchsbereich abdecken. Für die Einsprechenden ist es viel wahrscheinlicher, dass ein nicht funktionierendes Beispiel innerhalb der Grenzen des Anspruchs und nicht an den Rändern zu finden ist, um die erfinderische Tätigkeit in Frage zu stellen.
T1863/21: Auslegung eines Wirkmechanismus in einem Anspruch auf medizinische Verwendung
Nestlé legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Patent EP2575508 von Nutricia aufrechtzuerhalten. Anspruch 1 des Patents bezieht sich auf ein nicht verdauliches Oligosaccharid zur Verbesserung der oralen Toleranz gegenüber Nahrungsproteinen, wobei die orale Toleranz durch ein partielles Milchproteinhydrolysat induziert wird. Die Hauptstreitfrage zwischen den Parteien war die Auslegung der Ansprüche. Nestlé machte geltend, dass die gewährten Ansprüche auf Zusammensetzungen gerichtet seien, die eine Mischung aus partiellem Proteinhydrolysat und unverdaulichem Oligosaccharid enthielten, die eine orale Toleranz gegenüber Proteinen induziere. Nutricia vertrat die Ansicht, daß sich Anspruch 1 nicht auf die Mischung, sondern auf die Rolle des Oligosaccharids bezieht. Die Kammer stimmte mit dem Patentinhaber überein. Sie stellte fest, daß Anspruch 1 ein Anspruch auf medizinische Verwendung ist, bei dem die medizinische Verwendung darin besteht, die Toleranz gegenüber Proteinen zu induzieren, während die Rolle des Oligosaccharids darin besteht, die toleranzinduzierende Wirkung des Hydrolysats zu verstärken. Diese Auslegung steht im Einklang mit den Beispielen im Patent.
Es wurde auch geprüft, ob das Merkmal der Verstärkung lediglich einen Wirkmechanismus darstellt. Nestlé argumentierte, daß ein zugrundeliegender Wirkmechanismus einem Anspruch auf eine zweite medizinische Verwendung keine Neuheit verleihen kann. Die Kammer ließ dieses Argument jedoch nicht gelten und stellte fest, daß (i) unbestritten war, daß die beanspruchte medizinische Verwendung neu war, und (ii) die Rechtsprechung festgestellt hat, daß ein Hinweis auf einen Wirkmechanismus zu einem neuartigen Gegenstand führen kann, sofern er zu einer wirklich neuen nützlichen Anwendung führt. Die Kammer kam daher zu dem Schluß, daß die Frage, ob sich das Merkmal der Verstärkung auf einen Wirkmechanismus beziehe, rein akademischer Natur sei; die wichtige Frage sei, ob es den Anspruchsumfang einschränke.
Als Antwort auf den Unzulänglichkeitsangriff von Nestlé reichte der Patentinhaber im Einspruchsverfahren zusätzliche Daten ein, die auf einer binären Mischung von Oligosacchariden beruhten, da in den Beispielen des Patents nur ternäre Mischungen verwendet wurden. Nestlé bestritt, dass eine Wirkung mit nur einem oder zwei Oligosacchariden erzielt werden könne. Zur Untermauerung dieses Arguments legte Nestlé keine eigenen Daten vor, sondern stützte sich auf eine statistische Analyse der Daten des Patentinhabers. Die Kammer ließ sich von diesem Argument nicht überzeugen und stellte fest, daß „statistische Signifikanz nicht das einzige Kriterium für die Berücksichtigung von Versuchsergebnissen ist und auch nicht sein sollte, geschweige denn für deren Ausschluß von der Betrachtung“, und daß ein Patent nicht die gleichen Standards erfüllen muß wie eine wissenschaftliche Veröffentlichung mit Peer-Review.
Nestlé argumentierte daraufhin, dass die Erfindung in ihrem Umfang unzureichend offenbart sei, da das Milcheiweißhydrolysat nicht in der Lage sei, eine orale Toleranz gegenüber allen Nahrungsproteinen zu induzieren. Da dieses Argument eine unwiderlegbare wissenschaftliche Grundlage hat, waren keine Daten erforderlich, um die Kammer zu überzeugen. Der Patentinhaber konnte dieses Problem ausräumen, indem er den Anspruch 1 auf die orale Toleranz gegenüber Milchproteinen beschränkte. Da die Verwendung unverdaulicher Oligosaccharide zur Verbesserung der oralen Toleranz gegenüber Milchproteinen im Stand der Technik nicht vorgeschlagen wurde, wurde der geänderte Anspruch als erfinderisch erachtet.
Key take-away: Ob ein Merkmal in einem zweiten medizinischen Verwendungsanspruch als Wirkmechanismus angesehen wird, ist weniger wichtig als die Frage, ob es den Anspruchsumfang in einer Weise einschränkt, die etwas Neues gegenüber dem Stand der Technik bietet. Auch das Fehlen einer statistischen Signifikanz macht eine nachgewiesene technische Wirkung nicht automatisch unplausibel für die Zwecke der Beurteilung der Patentierbarkeit in Europa. Einsprechende, die einen zweiten medizinischen Verwendungsanspruch wegen Unzulänglichkeit anfechten wollen, haben bessere Erfolgsaussichten, wenn sie ihre eigenen Daten vorlegen, es sei denn, es gibt eine überzeugende wissenschaftliche Begründung für die Behauptung, dass die behauptete Wirkung nicht in dem beanspruchten Umfang erzielt werden kann.
Für Fragen zu den obigen Ausführungen wenden Sie sich bitte an die Autoren, Tanya Waller [email protected] und Jennifer Bailey [email protected].